Wirtschaft trägt Verantwortung
Der steirische AMS-Chef Karl-Heinz Snobe im Interview über die vielfältigen Werte der Arbeit.
Für das LebensGroß Magazin haben wir uns mit dem AMS-Chef über die Chancen benachteiligter Menschen in einem schwächelnden Arbeitsmarkt unterhalten.

Die Wirtschafts-Prognosen für heuer und nächstes Jahr sind nicht besonders rosig. Was bedeutet das für Menschen, deren Zugang zum Arbeitsmarkt ohnehin schon durch besondere Hürden erschwert wird?
KARL-HEINZ SNOBE: Ich möchte gerne anders anfangen. Wir kommen ja aus einer Phase heraus, in der wir in der Steiermark bis vor einem Jahr noch quartalsweise ein Wirtschaftswachstum von bis zu 7 Prozent gehabt haben. Also ein enormes Wachstum im Jahr 2022 bis Anfang 2023. Überraschend war dabei, dass Menschen mit diversesten Beeinträchtigungen – etwa mit schlechten Qualifikationen, mit Migrationshintergrund, vor allem aber mit gesundheitlichen Einschränkungen oder auch ältere Arbeitsuchende – in dieser Phase auch Jobangebote bekommen haben, wie wir es Jahre davor nicht hatten. Das zeigt, dass in Phasen eines Mangels an Arbeitskräften auch Betriebe auf Personen zurückgreifen – zurückgreifen müssen – auf die sie zuerst nicht schauen.
Das bedeutet aber, dass Betriebe auch mit Vertreter:innen dieser und ähnlicher Gruppen erfolgreich ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen können. Jetzt ist es tatsächlich so, dass wir wieder eine steigende Arbeitslosigkeit haben. Aktuell 14 Prozent plus, über das letzte Jahr sind es ca. 10 Prozent. Da zeigt sich sofort wieder das Gegenteilige, dass eben Menschen mit Schwierigkeiten – vor allem mit gesundheitlichen Einschränkungen – es sofort wieder schwerer haben.
Maßgeblich für die Frage, wie es gelingt, am Arbeitsmarkt Menschen mit Beeinträchtigung zu platzieren, ist also in allererster Linie tatsächlich die Wirtschaftslage. Förderangebote spielen tatsächlich eine untergeordnete Rolle. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn ein Unternehmen wirklich Arbeitskräfte braucht und es sich schwertut diese zu finden, dann stellt es auch Menschen ein, die ein Handicap haben.
Wir bei LebensGroß arbeiten vor allem mit Menschen mit Behinderungen, mit Jugendlichen, die in einer schwierigen Ausbildungs- oder Jobsituation sind. Im Rahmen der erfa (ein niederschwelliges Beschäftigungsprojekt und Teil der LebensGroß-Familie, Anm.) arbeiten wir vor allem mit arbeitsmarktfernen Personen, etwa mit Migrationshintergrund oder nach einer Haftentlassung. Warum ist es für diese Gruppen besonders schwierig, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen?
Menschen mit Migrationshintergrund haben häufig qualifikatorische Herausforderungen. Das muss gar nicht heißen, dass die Menschen schlecht qualifiziert sind. Sie kommen häufig mit Qualifikationen, die nicht unmittelbar verwertbar sind, wo es vielleicht eine Zusatzqualifikation oder eine Anpassung braucht. Vielleicht sind auch Qualifikationen bei uns nicht bekannt, die diese Personen mitbringen. Die zweite Gruppe sind Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen unterschiedlichster Art. Da gehören Personen dazu, die wirklich anerkannte Behinderungen haben. Bis dorthin, dass jemand einer bestimmten Tätigkeit wegen einer attestierten Einschränkung nicht nachgehen kann. Die dritte Personengruppe kann man mit dem Thema Alter umschreiben. Es gibt eine bestimmte Schwelle an Lebensalter, ab der man es einfach schwer hat, tatsächlich wieder einen attraktiven Arbeitsplatz zu bekommen. Die vierte Gruppe ist die heterogenste Gruppe, die man mit dem Stichwort „Qualifikationsprobleme“ beschreiben kann. Von Überqualifizierung bis hin zu mangelnder, gar keiner oder veralteter Qualifikation.
Was brauchen am Arbeitsmarkt benachteiligte Gruppen, um auch in wirtschaftlich schwächeren Phasen in Beschäftigung zu kommen?
Ich bleibe dabei: Es spielt in allererster Linie eine Rolle, wie hoch der Bedarf bei den Unternehmen ist. Das ist der größte Treiber, das ist der größte Hebel. Und ich bin da gar nicht so pessimistisch. Auch wenn wir jetzt eine Zunahme der Arbeitslosigkeit haben: Jeder Zyklus geht irgendwann zu Ende und wir reden ja von Wirtschaftszyklen. Der aktuelle – nämlich die schwache Wirtschaftsleistung –dauert auch schon sehr lange. Wie den Medien zu entnehmen, ist es die am längsten dauernde Wirtschaftsschwäche in der zweiten Republik. Und wir gehen davon aus, dass unweigerlich wieder eine Phase des Wirtschaftswachstums kommen wird.
Aber das viel Entscheidendere ist die demografische Entwicklung. Unabhängig vom eigentlichen Wachstum, ist es ein massiver Treiber, dass die Babyboomer in Pension gehen. Wir haben die größte und stärkste Pensions-Situation der letzten 60-70 Jahre. Noch nie gab es so eine starke Kohorte, wie wir sie jetzt haben, die aus dem Arbeitsprozess aussteigt. Es ist jetzt schon so, dass doppelt so viele Menschen im Jahr aus dem Erwerbsprozess aussteigen, als junge Menschen aus unserem Schulsystem auf den Arbeitsmarkt kommen. Das ist auch die große Chance für Menschen mit diversen Handicaps. Was es parallel dazu braucht, sind diverse Förderungs- und Unterstützungsmaßnahmen. Vor allem in dieser sich rasch weiterentwickelnden Arbeitsmarktsituation, braucht es einen Ausgleich zwischen einem persönlichen Handicap, und den Skills, die ich zur Verfügung habe. Und das kann man mit Schulung, mit möglichst punktgenauer Qualifizierung – idealerweise auf ein konkretes Unternehmen hin – sehr gut ausgleichen. Auch eine Lohnkostenförderung kann helfen, um Betrieben zu erklären: Für die ersten ein, zwei Monate, die du vielleicht ein bisschen mehr an Arbeit für die Einarbeitungs- und Einschulungszeit gewähren musst, minimieren wir dir auch die Lohnkosten. Das braucht’s. Und das Dritte ist, das kulturelle und auch gesellschaftliche Umfeld zu schaffen und bekannt zu machen, dass Wirtschaft eine Verantwortung hat und dass diese Verantwortung auch Inklusion bedeutet.
Dieses Bewusstsein zu schaffen, kostet Geld. Würden Sie als AMS-Chef sagen, dass sind Investitionen, die sich auch volkswirtschaftlich auszahlen?
Ist es eine gesellschaftspolitische Leistung, um Gerechtigkeit herzustellen, um dem Aspekt der Gleichheit im Sinne der Inklusion Rechnung zu tragen, oder geht es auch darum, dass es wirtschaftlich interessant sein muss? Natürlich würden wir gerne in einer Welt leben, in der jeder Mensch unabhängig von seiner körperlichen oder persönlichen Situation am Arbeitsmarkt gleichberechtigt ist. Die Realität ist eine andere. Wie es das Wort schon beschreibt, ist auch der Arbeitsmarkt – vielleicht kein ganz gut funktionierender – aber jedenfalls auch ein Markt.
Und Markt bedeutet auch, Angebot und Nachfrage abzuwägen. Das passiert natürlich bei der Personalsuche und Personaleinstellung sehr, sehr stark. Betriebe müssen einerseits kalkulieren und abwägen, inwieweit ihnen etwas zusätzliche Herausforderungen bereiten kann. Andererseits müssen sie abschätzen: Was brauche ich, um wirtschaftlich erfolgreich sein zu können? Und wirtschaftlich erfolgreich sind Betriebe dann, wenn sie Mitarbeiter:innen haben, die gut qualifiziert sind, die vertrauensvoll sind und die einem Unternehmen, von dem sie eine Chance bekommen haben, auch etwas zurückgeben möchten.
Im Projekt „Step by Step“ werden Menschen mit Behinderungen von LebensGroß bei ihrer Arbeit begleitet, Unternehmen werden beraten, es gibt finanzielle Anreize. So erkennen die Betriebe, welche Potenziale diese Personen haben. Viele, denen es vorher nicht zugetraut wurde, schaffen dadurch den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt.
Da sehen wir, dass es sich auszahlt. Ich habe nur versucht, zwei Regelkreise darzustellen: Das Eine ist wirklich die Frage des Wertes von Arbeit, von Beschäftigung, von kultureller Vielfalt im Unternehmen, des Wertes von Teamgefüge, von Aspekten wie Verantwortungsübernahme des gesamten Teams für andere, also Kollegialität und gegenseitige Wertschätzung. Und es braucht jedenfalls auch einen wirtschaftlichen Mehrwert, den ein Unternehmen durch die Einstellung einer Person mit Einschränkungen haben muss. Es braucht beides, sonst wird es nicht funktionieren.
Das zeigen aus meiner Sicht auch viele Beispiele. Die Unternehmen, die ausschließlich aus altruistischen Gründen Menschen mit Einschränkungen einstellen, sind mir im normalen Wirtschaftsleben noch nicht bekannt.
Ein ganz konkretes Beispiel aus dem Migrationsbereich: Ein Teilnehmer aus dem LebensGroß Sport- und Bildungsprojekt „Wunderteam“ – ein junger Mann aus Afghanistan, der gut Deutsch kann – möchte unbedingt arbeiten. Er erzählt aber, dass er aufgrund seines Aussehens und weil er keine Eltern in Österreich hat, nicht einmal die Chance auf ein Praktikum bekommt. Gleichzeitig werden teilweise händeringend Arbeitskräfte gesucht. Wo liegt da der Fehler im System?
Da ist mit Garantie die größte Unterstützung die, dass man – bildlich gesprochen – so eine Person bei der Hand nimmt und bei einem Unternehmen, idealerweise bei einem Personalverantwortlichen, andockt und versucht, dieser Person einen Arbeits- oder Praktikumsplatz zu verschaffen. Die Schwierigkeit ist immer der erste, der zweite, schlimmstenfalls der dritte Job. Wenn Personen einmal eine Vita vorlegen können, die zeigt, dass sie durchaus erfolgreich in Österreich, in der Steiermark, in der Obersteiermark gearbeitet haben, tun sie sich danach deutlich leichter. Diese Vorbehalte sind uns natürlich vollkommen bekannt. Die gibt’s und da ist wirklich der Aspekt des bei-der-Hand-nehmens eines Beratungspartners wichtig. Zum Beispiel tun das meine Mitarbeiter:innen des AMS Steiermark auch tagtäglich.
Es geht also um viel Beziehungsarbeit.
Ja.
Im Rahmen des Modells „Gehalt statt Taschengeld“ sollen Menschen mit Behinderungen, die aktuell im Rahmen ihrer Betreuung in sogenannten Werkstätten tätig sind, die Chance auf ein reguläres Beschäftigungsverhältnis bekommen. Jedoch gibt es warnende Stimmen, die befürchten, dass es für viele Betroffene zu einer Verschlechterung führen könnte, wenn sie auf den freien Arbeitsmarkt kommen.
Das ist aus meiner Sicht zuerst einmal ein sozialpolitisches Thema. Ich bin kein Verantwortlicher in einem Sozialunternehmen, unser Thema ist Arbeitsmarktpolitik. Wir sprechen hier ja von einer Personengruppe, die im Regelfall auch behördlich festgestellt nicht arbeitsfähig nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz ist. Das ist also in überwiegender Zahl eine Personengruppe, mit der das Arbeitsmarktservice gar nicht arbeiten „darf“, sondern die entweder vom Sozialressort des Landes oder vom Sozialministeriumservice betreut wird.
Wenn man so will, haben wir mit dem Arbeitsmarktservice, dem Sozialministeriumservice und vor allem auch mit der Sozialpolitik des Landes drei Organisationen, die sich in einer Schnittmenge um Personen kümmern. Ganz persönlich ist es selbstverständlich so, dass wenn Menschen einer regelmäßigen Arbeit nachgehen – auch wenn das in Einrichtungen der „Sozialhilfe“ ist – dann bin ich auch aus sozialpolitischen Gründen dafür, dass diese Menschen ein Gehalt bekommen. Wie hoch das Gehalt sein soll und ob es hier Abstufungen gibt, welche kollektivvertraglichen Aspekte hier zu berücksichtigen sind, wie diese Arbeit auch bewertet werden kann, da muss man aber mit den zuständigen Profis sprechen. Das kann ich nicht sagen.
Ich habe mich aber längere Zeit durchaus intensiv mit spanischen und vor allem mit italienischen Genossenschaftssystemen beschäftigt. Es geht dabei vor allem darum, dass Personen, die nur eingeschränkt leistungsfähig sind – also zum Beispiel Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Haftentlassene – in Genossenschaften beschäftigt werden können und dort eine Kollektivvertragsrahmenentlohnung bekommen. In Italien ist das sogar im Rahmen eines eigenen Bundesgesetzes geregelt. Das geht so weit, dass dort von der öffentlichen Hand bestimmte Leistungen so ausgeschrieben werden müssen, dass sich nur Genossenschaften des Typ B, wie sie dort heißen, daran beteiligen können. Die Kommunen sind angehalten, zehn Prozent ihrer öffentlichen Beschaffungen so auszuschreiben, dass es nur Einrichtungen bekommen können, die mit Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen arbeiten. Das halte ich für einen gesellschaftspolitisch sinnvollen Weg. Das muss aber natürlich auch wirtschaftlich darstellbar sein, wenn wir von einem Gehalt statt Taschengeld reden. Ich halte nichts davon, wenn man Gehalt zahlen würde und dann Wirtschaft spielt. Ich sage schon, dass beides vorherrschen muss: Wenn man Gehalt sagt, dann muss auch ein Teil wirtschaftlich im Sinne einer unternehmerischen Tätigkeit erbracht werden.
Sie sagen aber bewusst „ein Teil“?
Natürlich ein Teil. Es geht nie, dass man das normalen Wirtschaftsbetrieben überantwortet. Deshalb auch das Beispiel der Genossenschaften in Italien oder in Spanien.
Sie haben vorher schon den demografischen Wandle und den damit einhergehenden Arbeitskräftemangel angesprochen. Wäre es sinnvoll, innerhalb der vorher angesprochenen Dreiteilung zwischen AMS, Sozialministeriumsservice und Land, ein bisschen zu verschieben und darauf zu schauen, mehr Leute, die jetzt als arbeitsunfähig gelten, auch auf den ersten Arbeitsmarkt zu bringen? Sprich wegzukommen von der Sozialleistung hin zu einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme?
Das wäre wünschenswert. Ich sage nur gleichzeitig dazu, dass man da auch Systeme zur Verfügung stellen müsste, die es in Österreich in dieser Form nicht gibt. Auch in Deutschland nicht. Interessanterweise gibt es solche Systeme eher in südlichen Hemisphären. Ein bisschen auch in Skandinavien, aber aus einer stark sozialpolitischen Überlegung heraus. Aber im „Schaffe, schaffe, Häusle baue“-Kreis Schweiz, Österreich, Deutschland, gibt es diese Unterstützungssysteme nur sehr schlecht ausgebildet. Also keine Einwände, dass man im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik auch Instrumente zur Verfügung stellt, um mit dieser Personengruppe im Sinne von tatsächlicher Teilintegration in Beschäftigung auch helfen kann. Momentan haben wir diese Instrumente nicht.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das im DACH-Raum nicht so der Fall ist wie in Südeuropa oder Skandinavien?
Es gibt die ein oder andere historische Erklärung dazu. Interessanterweise ist eine Erklärung, dass in Deutschland, in Österreich – ich sage jetzt einmal in der europäischen nördlichen Hemisphäre – die Ausbildung von Arbeitslosenversicherungssystemen sehr früh begonnen hat. Dadurch, dass man sich um die Personengruppe der sogenannten arbeitsfähigen Personen gekümmert hat, ist alles, was nicht unmittelbar arbeitsfähig erschien, in die Sozialhilfe abgerutscht. In Spanien und in Italien hat es diese Ausprägung der Arbeitslosenversicherung in einer behördlichen Art und Weise nicht gegeben. Aus meiner Sicht hat es also mit dem Arbeitslosenversicherungs-Reglement bei uns zu tun.
Seit Jänner 2024 wurde die endgültige Einstufung der Arbeits(un)fähigkeit für Menschen mit Behinderungen auf das 25. Lebensjahr nach hinten verschoben. Inwieweit hat sich diese Neuerung auf das AMS und den Arbeitsmarkt ausgewirkt? Konnten Menschen mit Behinderungen in der Steiermark davon profitieren?
Es hat sich in der Steiermark bis dato kaum ausgewirkt. Das hat aber damit zu tun, dass wir hier seit Jahren unter 25-jährige arbeitssuchende Menschen, die mit einer Einschränkung zu uns gekommen sind, nur sehr, sehr selektiv zu dieser Abklärung „arbeitsfähig oder nicht arbeitsfähig“ zur Pensionsversicherungsanstalt (PVA) verwiesen haben. Zuständig für die Frage, ob eine Person als arbeitsfähig oder nicht arbeitsfähig gilt, ist in Österreich die Pensionsversicherung. Da gibt es die sogenannte Gesundheitsstraße, eine behördliche Einrichtung, die genau diese Frage gutachterlich entscheidet. Das AMS ist angehalten, bei Menschen, bei denen die Frage nicht klar ist, zur Gesundheitsstraße der PVA zu verweisen. Neben der allgemeinen Arbeitsfähigkeit wird dort auch geprüft, inwieweit und in welchen Bereichen die Person arbeitsfähig und vermittelbar ist. Das können unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht. Da braucht es eine gutachterliche Beurteilung, um festzustellen, ob das AMS mit der betreffenden Person weiterarbeitet, oder ob die Sozialhilfe für zuständig erklärt wird. Und für unter 25-Jährige haben wir eben schon vor mehreren Jahren mit diesem Überantworten an die Gesundheitsstraße aufgehört. Wenn doch ein ganz kritischer Fall da gewesen ist, wo laut Einschätzung der Berater:innen nicht einmal eine Ausbildungsfähigkeit von jungen Menschen gegeben war, so musste dieser Fall dann an die Fachstelle der Landesgeschäftsstelle verwiesen werden, um extra beurteilt zu werden. Und erst danach durfte eine Person tatsächlich zur Gesundheitsstraße geschickt werden. Das ist ein Teil der Erklärung, warum wir jetzt zu Beginn dieser Phase – das Gesetz gilt erst seit rückwirkend 1. Jänner 2024 – noch keine erkennbaren zusätzlichen Personen haben. Statt die Arbeitsfähigkeit dieser Personen über die Gesundheitsstraße abklären zu lassen, ist jetzt vorgesehen, dass das Jugendcoaching im Auftrag des Sozialministeriumservice mit diesen jungen Menschen zuerst eine Abklärung macht und einen sogenannten Perspektivenplan erstellt. Diesen Perspektivenplan schickt das Jugendcoaching dem AMS, dem Sozialministeriumservice, dem Sozialressort des Landes. Und es gibt eine Vereinbarung dieser drei zuständigen Organe, dass das, was das Jugendcoaching im Perspektivenplan feststellt, dann auch passiert. Da kann zum Beispiel herauskommen: Eigentlich gehört die Person zum Sozialministeriumservice, weil es dort eine besondere Förderung gibt. Oder eigentlich sollte diese Person zum Sozialressort des Landes, weil es dort eine passende Bildungsmöglichkeit gibt. Oder sie soll vom AMS weiter betreut werden. Dann tun wir das natürlich auch.
Sie haben zu Beginn ihrer Antwort gesagt, dass das bis dato in der Steiermark keine Auswirkungen hatte. Ist das in anderen Bundesländern anders?
Ich kann das gar nicht sagen. Wir hatten in der Steiermark vor etwa sechs oder sieben Jahren eine für unsere Beurteilung zu hohe Zahl an jungen Menschen, bei denen in der Gesundheitsstraße festgestellt wurde: nicht arbeitsfähig. Und mit diesem „Urteil“ darf das AMS die Menschen nicht weiter betreuen. Es war also praktisch eine Einbahnstraße für die meisten hin Richtung Sozialleistung des Landes. Und da haben wir gesagt, das wollen wir so nicht mehr, wir wollen, dass wir es mit jungen Menschen länger probieren. Wie das in anderen Bundesländern ausschaut, habe ich mir nicht angeschaut.
Wir haben viel über die wirtschaftliche Lage gesprochen und es geht natürlich beim Arbeiten immer ums Geld. Ist die Arbeit aber noch mehr als das? Was bedeutet es für Menschen in Beschäftigung zu kommen, was bedeutet es speziell, wenn sie es lange nicht waren?
Natürlich! Alle Untersuchungen zeigen, dass Arbeit immer mehr ist als reiner Lohnerwerb, reines Geldverdienen – egal, welche Arbeit es ist. Es ist auch kein Geheimnis, dass Arbeit erfüllender sein kann, je „anspruchsvoller“ und je vielfältiger Tätigkeiten sind. Das muss aber überhaupt nicht sein. Man kann auch einen interessanten, abwechslungsreichen, beziehungsreichen Arbeitsplatz beispielsweise in der Gastronomie oder im Lager haben.
Es geht darum, dass man mit der Umwelt und mit anderen Menschen häufig in Beziehung treten kann. Andererseits mag es auch manche geben, die sehr gerne alleine arbeiten, wo vielleicht dieses Element wegfällt, aber wo es auch darum geht, dass man eine Tätigkeit, die man ausübt, die an und für sich immer einen Wert hat, erfolgreich abschließt. Das ist mehr als reines Geldverdienen. Also selbstverständlich. Das ist sogar ein ganz großes und wichtiges Element und das sehen wir auch in der täglichen Beratung. Da wird zuerst die Frage nach der Art der Beschäftigung gestellt. Erst in der zweiten Frage geht es ums Geld.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Waren sie selbst schon einmal arbeitslos?
Ich habe mich tatsächlich nie arbeitslos im Sinne des Arbeitslosenversicherungsgesetzes melden müssen, aber ich habe während meiner Studienzeit immer gearbeitet und auch arbeiten müssen. Da hat es auch oft Phasen gegeben, wo ich keinen Job hatte und auf Arbeitssuche war. Insofern kenne ich die Situation, auf Jobsuche zu sein. Da ist es wirklich darum gegangen, dass man sich auch das tägliche Leben leisten kann. Eine dieser Job-Suchphasen hat mich tatsächlich zum Arbeitsamt geführt damals, mit dem Ergebnis, dass ich seitdem in dieser Organisation arbeite.